Nichts
bleibt, wie es ist
Eine verwirrende multimediale und künstliche
Datenwelt
[Diese Ausstellung hat
mich sehr fasziniert. Sie war auf der Expo 2000 zu sehen. Die eiförmigen Roboter kommen
wieder zum Einsatz: Im Zukunftspark "O.Vision" auf dem früheren Thyssengelände
in Oberhausen/NRW. Der Park soll 2004 fertig sein.]
Blau in vielen Schattierungen simuliert Weltall-Stimmung. Sie vermittelt
tröstliche Visionen wie die vom blauen Planeten" Erde, sie bedroht den in sie
eintauchenden Betrachter aber auch durch ihre Unendlichkeit. Außer der spürbaren
Bodenhaftung wird ihm jeder Halt genommen. Alles, was der Mensch mit seinen Sinnen
erfassen kann, bewegt sich um ihn herum mit lässiger Geschwindigkeit. Klänge wabern auf
und ab und hin und her, Bilder bauen sich auf, verschwinden wieder und gruppieren sich
neu, wenn der Besucher sich bewegt. In dieser unentwegt fließenden Welt muss er völlig
neue Methoden finden, um die Vielzahl sich ständig verändernder Informationen zu
verarbeiten, wenn er Herr des Geschehens bleiben will. Ein Lernprozess mit Irritationen
und ungewissem Ausgang, eine Zukunftsvision - und eine Weltpremiere.
Ein Team des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe
setzt schon seit rund zwei Jahren die gigantische Ausstellung Wissen, Information,
Kommunikation" szenisch um, die Besucher der Expo 2000 in Halle vier des Themenparks
erwartet. Über eine Fläche, die mit knapp 4000 Quadratmetern fast so groß ist wie zwei
Fußballfelder, gleiten rund 80 unterschiedlich große, mobile Objekte in angenehm
gerundeter Kuppelform. Von ihrem komplizierten technischen Innenleben geben sie dem
Besucher nichts preis. Wie Vogel- oder Fischschwärme schweben sie hintereinander her,
orientiert an jeweils zwei Leitobjekten. Werden diese langsamer, reduziert auch das
Gefolge sein Tempo, schwenken die Chefs" nach rechts, tun es ihnen alle nach.
Jede dieser Kapseln weiß" von den anderen und kennt ihre Position innerhalb
der Halle. Möglich machen das Sensoren, eine ausgeklügelte Software-Steuerung und ein
Koordinatensystem aus Infrarot-Lasern an der Hallendecke. Alle Kapseln halten Abstand
voneinander und werden auch die Besucher nicht anrempeln. Sie können ausweichen, sie
werden aber auch versuchen, wenn der Ansturm der Besucher groß ist, sich zwischen die
Menschen zu drängen.
Im Notfall: Stopp!
Außerdem haben die Kapseln etwas zu sagen. Sie erzählen leicht
lesbar" und für jedes Alter verständlich, wie die Welt sich durch mediale
Werkzeuge verändert. Dazu schließen sie sich zu Themengruppen zusammen und bringen ihre
Ge- schichten - etwa die Darstellung der Gehirnaktivitäten, den Aufbau von Nervenzellen
oder über das Auge als Werkzeug in den neuen Medien - wie einen sich im Raum
ausbreitenden Film-Puzzle an den Zuschauer. Der steht mittendrin und kann das mit
sphärischen Klängen garnierte Geschehen durch eigene Bewegung beeinflussen und sich
seinen eigenen Film zusammenstellen - falls ihm in diesem fließenden, mit Reizfluten
wahrlich nicht geizenden Universum nicht schon längst übel geworden ist. Auch daran hat
das ZKM-Forscherteam gedacht: Falls ein Mensch umfällt, befiehlt ein Notprogramm den in
seiner Nähe umeinander wusendeln Kapseln sofort Stopp!".
Die Objekte mit lichtdurchlässiger Oberfläche sind auf ein Fahrwerk
aufgesetzt, das, ähnlich wie ein Personenaufzug, angetrieben wird. Im Inneren steckt
Computertechnik: Elektrohirn, künstliche Augen, Sensoren, eine Projektionseinrichtung,
die Bilder auf die Oberfläche der künstlichen Wesen zaubert. Sie sind miteinander
vernetzt und werden von einem Zentralcomputer gesteuert. In diesem selbständigen
Hightech-Netzwerk ist nur eines ganz sicher: Nichts bleibt, wie es ist!
Wissen als Netzwerk
Was haben die Kapselschwärme, die immer in Bewegung bleiben, mit
Kommunikation und Wissen zu tun? Die Medientechnologen interpretieren Wissen als ein
selbstorganisierendes, mobiles, intelligentes Netzwerk. Sie interessiert die Frage, ob das
Zusammenwirken einzelner Handlungen und Denkprozesse die Gesamtleistung steigern kann -
deshalb auch die Schwarmbildung der Kapseln. Ihre Vision ist, dass der Mensch, wenn er aus
Information und Kommunikation Wissen produziert, stärker kooperiert, also in Gruppen
arbeitet, sich mit ebenfalls spezialisierten Nachbarteams zusammenschließt und über
digitale Technik verwebt, um effektiv an messbares, wettbewerbsfähiges Wissen zu
gelangen. Eine solche Produktionsweise nehmen die Schwarm bildenden Roboter quasi vorweg.
Das Leitmotiv, das die ZKM-Forscher der Ausstellung gegeben haben, führt
noch viel weiter, zu einem neuen Menschenbild zum postbiologischen
Menschen". Wenn es denkbar ist, dass menschliche und künstliche Intelligenz
verschmelzen, wird auch vorstellbar, dass aus Robotertechnik, Genmaterial, Hirnimplantaten
und Biomasse ein fortpflanzungsfähiges menschenähnliches Wesen erzeugt wird. Was
wiederum die Frage aufwirft, ob eine intelligente Mischung von Mensch und Technik bald die
Natur als führende Kraft ablöst. Diese Frage wird im 21. Jahrhundert noch oft Thema
ethischer Debatten sein.
Mut zum Träumen
Mit der Ausstellung will das Karlsruher Forscherteam den Besuchern Mut zum
Träumen machen. Sie soll Anstoß zum Nachdenken sein, zum Beispiel darüber, ob mit den
Neuen Medien im 21. Jahrhundert auch neue Ordnungen entstehen, ob Menschen sich in anderen
Gemeinschaften als in politischen Staaten organisieren, ob sie sich mit neuartigen
Vernetzungsformen auch eine neue Welt erschaffen.
Die Expo-Ausstellung setzt dieses Ineinandergreifen von Mensch und Technik
spielerisch um. Der Besucher begibt sich in ein künstlich-intelligentes System von
roboterähnlichen Wesen, die ihm in vielen Dimensionen Informationen liefern. In diese
autonome Welt kann er eingreifen, sie dadurch verändern oder sich auch selber verwandeln.
Ein verwirrendes Spiel mit den Möglichkeiten aktueller Technologie. |
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