Bratkartoffeln
Es gab einige Männer, die Marlene in Chats kennenlernten und sie
unbedingt sehen wollten. Das lag daran, dass sie es mit der Wahrheit beim Chatten nicht
immer so ganz genau nahm. Bei ernsten Chatgesprächen natürlich schon - aber manchmal
ritt sie der Teufel. Vor allem wenn sie guter Stimmung war, verpasste sie den Dialogen
einen leicht erotischen Touch, das machte ihr Spaß - und den Kerlen sowieso.
Einen hatte sie mal dran, der sich auf die verbale Erotik gerne einließ.
Sie tändelten ein wenig hin und her, und auf einmal fragte er sie, was sie denn gerade
anhabe. Marlene lachte sich innerlich halbtot - sie trug einen alten eingerissenen
Pullover und eine viel zu weite, schlabberige Baumwollhose, sah keinesfalls blendend aus,
fühlte sich aber sauwohl in den Klamotten - und schrieb kichernd: "Ich habe einen
glänzenden, langen schwarzen Lackanzug an und nichts darunter - und jetzt ziehe ich
langsam den Reißverschluss herunter....." Der Typ an dem anderen Rechner geriet
unverzüglich in Wallung, stellte noch ein paar Fragen, die Marlene so beantwortete, wie
sie es situationsbedingt für angemessen hielt - aber natürlich nicht ganz der Wahrheit
entsprechend. Die Chatterei endete irgendwie - kurz vorher hatten sie noch festgestellt,
dass der Typ gar nicht weit von Marlenes Städtchen entfernt wohnte. Doch Marlene
konzentrierte sich nicht richtig - und hatte das Gespräch bald wieder vergessen.
Vier oder fünf Tage später klingelte es an ihrer Haustür. Marlene hatte
gerade Besuch von einer Freundin - sie selbst lag im Bett, weil sie sich nicht besonders
gut fühlte. Die Freundin, Maria, ging an die Tür, murmelte mit irgend jemandem, kam
zurück zu Marlene: "Da draußen steht ein Typ, der sagt, er komme von einer
Versicherung." "Quatsch", sagte Marlene. "Die Typen werden auch immer
frecher. Sag, ich bin krank, kann nicht aufstehen, dann wird er schon gehen." Die
Freundin rannte wieder an die Tür, murmelte wieder, kam zurück und sagte: "Der
behauptet steif und fest, er habe heute abend einen Termin mit dir!" Marlene
stöhnte. "Wegen so einem stehe ich doch jetzt nicht auf - und ich hab keinen
Termin!" Ihre Freundin seufzte leicht, ging zurück an die Haustür - und kehrte mit
der Nachricht wieder, der Kerl sei gegangen, werde aber in einer Stunde anrufen.
"Hartnäckiger Heini", schimpfte Marlene.
Weil sie Hunger hatte, wälzte sie sich ächzend aus dem Bett, warf sich
ein altes Sweatshirt über, zog die geliebte Schlabberhose an und verkündete der
Freundin, sie werde jetzt Bratkartoffeln machen und einen Salat, da könnten sie sich dann
genüsslich drüber her machen. Marlene schälte Kartoffeln und würfelte sie, ließ Öl
heiß werden und kippte die Kartoffeln in die Pfanne. Sie war gerade dabei, den Salat zu
putzen, als das Telefon klingelte. Marlene seufzte. "Pass auf die Kartoffeln
auf!" Sie ging ans Telefon und meldete sich mit einem sehr ungnädigen
"Ja". "Hallo, hier ist Sven!" Marlene wunderte sich: "Ja,
und...?" "Wir waren doch für heute um 18:00 verabredet!" Huch? Marlene
hatte keine Ahnung, wer Sven war. Da erzählte er ein bisschen, sprach von dem Chat, da
hätten sie am Schluss abgemacht, dass er Montag um 18:00 kommen solle.
Marlene brach der kalte Schweiß aus! Plötzlich erinnerte sie sich
wieder. Der mit dem Lackanzug!!! Lieber Himmel, Lackanzug - und sie stand da, ungewaschen,
ungeschminkt, Bratkartoffeldunst im Haar..... Sie stammelte eine Entschuldigung, den
Termin habe sie ganz vergessen (dieser Sven arbeitete wirklich bei einer Versicherung, das
hatte er erwähnt). "Wo bist du jetzt?" fragte Marlene. "In einer Kneipe
gleich um die Ecke!" Auch das noch! Keine Zeit zum Umziehen, gar nichts.
"Okay", sagte Marlene resignierend, "dann komm mal vorbei, kannst mit uns
Bratkartoffeln essen!"
Sie raste zurück in die Küche, nahm Maria den Wender ab und fuhrwerkte
in den Bratkartoffeln herum. Schnell erzählte sie der Freundin von der feinen Lage, in
der sie wieder einmal steckte - und musste selber lachen über diese dämliche Situation.
Während Maria ihr noch anbot, das Essen alleine fertig zu machen, damit sie sich schnell
umziehen könnte, klingelte es auch schon. "Lass mal", grinste Marlene mit
wiedergefundenem Humor, "ich zieh das jetzt durch!" Sie ging zur Tür, öffnete
sie ungerührt - und der Typ konnte sein Erstaunen über ihre Erscheinung nur mühsam
verbergen. Der hat jetzt den Lackanzug im Kopf, dachte Marlene amüsiert - und sagte laut
und fröhlich: "Hallo Sven, komm 'rein, entschuldige meinen Aufzug, ich war, wie du
weißt, nicht vorbereitet - aber die Bratkartoffeln sind fertig!"
Marlene grinste jetzt breit und beobachtete Sven. Der muß sich ja jetzt
auch saudämlich vorkommen, dachte sie. Er hatte eine Flasche Sekt mitgebracht, nett! Da
hilft nur: Flucht nach vorn! Marlene lachte ein glockenhelles Lachen und bezeichnete sich
selber laut als eine dämliche Trine. "Alles meine Schuld, ich hab's vergessen, und
nun empfange ich dich hier mit Bratkartoffeln statt im - hahaha, ich finde es fast schon
wieder lustig, hahaha....." Sven hatte Mühe, aber - und das muss man ihm hoch
anrechnen - er lachte tapfer mit. Sie aßen Bratkartoffeln und Salat, tranken ein paar
Gläser Wein, dann ging Marlene sich endlich waschen, zog sich um, schminkte sich ein
wenig - und dann verabschiedete sich Maria. "Viel Glück!" flüsterte sie
Marlene zu. Die flüsterte nicht: "Das Ding ist doch jetzt eh gelaufen!"
Das Wunder passierte dann doch noch. Sven hatte nämlich seine Contenance
wiedergefunden, konnte der Situation jetzt auch Komik abringen, nachdem Marlene noch
mehrfach beteuert hatte, dass sie den Termin wirklich einfach nur vergessen und nicht in
böser Absicht gehandelt hatte. Sie saßen gemütlich im Wohnzimmer, tranken noch ein paar
Gläser Wein, unterhielten sich - ja, und dann passierte, was Sven sich eigentlich
vorgenommen, Marlene schon nicht mehr für möglich gehalten hatte.........
Aber alles ohne Lackanzug! Denn so ein Teil besaß Marlene gar nicht! |
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