Abenteuer hinterlassen Spuren
"Aber Mama, ich habe doch nur kurz in ein Buch geschaut",
protestiert Tommy DoLittle gegen eine saftige Standpauke seiner Mutter. Genau kann er sich
auch nicht erklären, warum sein Pyjama so schmutzig ist. Abenteuer hinterlassen eben ihre
Spuren, schon gar, wenn es Schwarz-Weiß-Geschichten sind, die einen mit Löwen kämpfen
und kopfüber in Australien landen lassen. Das größte Wunder aber ist, dass er das Buch
überhaupt geöffnet hat, denn seine Lieblingsbeschäftigung ist Nichtstun. Und nun hat
ihn eine Geschichte einfach so mitgerissen! Niemand könnte besser erklären, wie spannend
Lesen sein kann, als John A. Rowe mit diesem Bilderbuch!
John A.Rowe: Tommy DoLittle.
Neugebauer Verlag, Gossau/Zürich 2002, 30 Seiten, 12,80 Euro (ab 2)
Diebisches Vergnügen an skurrilen
Konstellationen
Wie wird ein Volk einen strohdummen Kaiser los, der sich sechs Schlösser
bauen lässt und das ganze Staatsgeld verprasst? Nicht einfach, wenn er der rechtmäßige
Regent ist. Das erzürnte Volk geht auf die Straße und probt die offene Rebellion. Die
Nachbarländer schüren geschickt den Protest, helfen hier und da mit Materialien und
Essbarem, und endlich gelingt es der Enkelin des Kaisers, den Alten für verrückt zu
erklären und sich, unterstützt vom dankbaren Volk, selbst zur Kaiserin zu machen.
So eine Geschichte hört sich an wie mitten aus dem Erdenleben, doch sie
spielt auf einem anderen Planeten, dem "Orm". Auch dort regieren Geld und
Geschäfte die Welt, doch immerhin ist er ziemlich frei von Kriegen. Was ihn von der Erde
nun gänzlich unterscheidet. Den Orm mit seinen nur vier Völkern hat Gudrun Pausewang
erfunden. Die große alte Dame der Kinderliteratur hat sich mit ihrem neuen Kinderroman
raffiniert eine Spielwiese geschaffen, auf der sie mit viel Humor und geradezu diebischem
Vergnügen an skurrilen Konstellationen ganz normalen irdischen Alltagswahnsinn
nachspielt.
Ihre vier Völker leben in unterschiedlichen Politikformen: Demokratie,
Kaiserreich, Gottesstaat und ein Entwicklungsland, in dem das Matriarchat regiert. Dieses
Land ist weitgehend fortschrittsfrei, dafür trägt Häuptling "Dicke Mutter"
das Herz auf dem rechten Fleck und macht sich auf die Geschichten, die sie von ihren
Regenten-Kollegen ab und zu erfährt, ihren eigenen, meistens ziemlich klugen Reim. Und
hat natürlich ihre Hand im Spiel, als die Frauen im Gottesstaat die Schleier abwerfen und
kollektiv den Aufstand anzetteln.
Rebelliert wird ziemlich viel auf dem Orm, doch Gudrun Pausewang fallen
für alle Konflikte tolerante und einsichtige Lösungen ein. Sie sind obendrein oft so
einfach, dass sie jedem und jeder Zehnjährigen sofort einleuchten. In diesem
Utopia würden Kinder sicherlich gerne die Macht übernehmen!
Gudrun Pausewang: Dort, wo zwei Monde
scheinen.
Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2002, 288 Seiten, 9,95 Euro (ab 10)
Doppelte Verführung
Traurig, nachdenklich, komisch, spannend oder ganz anders: 120 Geschichten
hat der Autor und Herausgeber Hans-Joachim Gelberg mit Liebe und Sorgfalt zusammengetragen
und damit ein Schatzkästlein geschaffen, das doppelt verführt: Köstliche Erzählkunst,
erlesene Bilder.
Die ganze Fülle der Kinderliteratur von ihrer schönsten Seite! Kein
kleiner und kein großer Leser geht fehl, wenn er sich dieser Sammlung bedenkenlos
hingibt. Alle werden reich belohnt.
Hans-Joachim Gelberg(Hrsg.): Eines
Tages. Geschichten von überallher.
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2002, 368 Seiten, 19,90 Euro (jedes Alter)
Merle und die Fließende Königin
Kai Meyers magische Trilogie um das Mädchen Merle und die Fließende
Königin ist komplett. In "Das Gläserne Wort" hält Meyer die Leser mit
erneutem Ideenfeuerwerk in Atem und führt die Handlungsstränge der ersten beiden Bände
zusammen. Merle muss am Ende eine grausame Entscheidung treffen, was die Spannung ins fast
Unerträgliche steigert.
Kai Meyer: Die Fließende Königin (288
Seiten),
Das Steinerne Licht, Das Gläserne Wort (je 352 Seiten).
Loewe Verlag, Bindlach 2001/2002, pro Band 14,90 Euro (ab 13)
Schrecken im Forsthaus
Ferien im Schwarzwald. Für die drei Geschwister, die ohne Mutter
aufwachsen, eine wunderbare Abwechslung vom nicht eben leichten Alltag. Obwohl die neuen
Freunde ihres Vaters, eines gefragten Wissenschaftlers, vor allem Sophie, der ältesten
Tochter, ziemlich suspekt vorkommen. Was bringt sie dazu, ihrer Familie einfach so ihr
Ferienhaus zur Verfügung zu stellen?
Sophies Verdacht bestätigt sich. Nach wenigen fröhlichen Tagen kehrt in
das einsame Forsthaus der Schrecken ein: Der Vater ist offensichtlich entführt worden.
Nun tüfteln die Kinder an einer schwierigen Rettungsaktion, die den Leser gerazu magisch
ans Buch fesselt. Ein richtiges Abenteuer!
Marianne Haake: Das Rätsel vom
Hünerberg.
Laetitia Verlag, Modautal 2002, 234 Seiten, 14,90 Euro (ab 10)
Die mit den Wölfen tanzt
Franziska ist eine kleine Bedenkenträgerin, schüchtern und nicht
besonders mutig. Man könnte sie auch sehr vernünftig nennen. Ihre kleinen Freunde jedoch
mögen quirlige Draufgänger lieber. Bei einem Ausflug geht Franziska im Wald verloren und
findet sich plötzlich von einem Rudel Wölfe umzingelt.
Das Mädchen ist so erfüllt von dem Gedanken, den Weg zurück zum
Kindergarten zu finden, dass es ganz vergisst, sich vor den Wölfen zu fürchten. Da die
etwas faulen Tiere ihr bei der Wegsuche nicht helfen, organisiert sie souverän einen
Spielnachmittag. Der wird so kurzweilig, dass das ganze Rudel bereitwillig nach ihrer
Pfeife tanzt. Die Rolle als Wolfsbändigerin macht Franziska stark. Nun wagt sie sich auch
an andere Abenteuer. Diese Franziska, kess und witzig gezeichnet, hat das Zeug zur
Serienheldin.
Pija Lindenbaum: Franziska und die
Wölfe.
Moritz Verlag, Frankfurt 2002, 40 Seiten, 13,80 Euro (ab 3)
Hotel zur Sehnsucht
Sehr einsam liegt das verwinkelte Hotel an den Klippen, und der Maler, dem
seine Fantasie abhanden gekommen ist, fragt sich, wie er ausgerechnet dort zündende Ideen
ausbrüten soll. Doch nach und nach treffen Gäste ein, die ihm seltsam bekannt vorkommen,
und die alle irgendein Geheimnis zu hüten scheinen. So entwickelt sich ein
undurchsichtiges Detektivspiel.
Roberto Innocenti jongliert hier auf magischen, atmospärischen Bildern
mit vielen Figuren aus der Weltliteratur, die der Leser wiedererkennen darf, aber nicht
muss. Ein kunstvolles Bilderbuch für große Kinder!
Roberto Innocenti(Ill.)/ J. Patrick
Lewis: Das Hotel zur Sehnsucht.
Verlag Sauerländer bei Patmos, Düsseldorf 2002, 48 Seiten, 18 Euro (ab7)
Brüller mit Herz
Der Löwe will eine belesene, elegante Löwin gewinnen, aber die Sache hat
einen Haken: Einer Dame schreibt man Briefe, doch schreiben kann er nicht. Nun sucht er
Hilfe, aber kein Tier schreibt so, wie es ihm gefallen würde. In seiner Wut brüllt er
los und brüllt alle seine Gedanken in die Welt hinaus. Hinter den gefletschten Zähnen
sind das sehr liebevolle Gedanken. Und die Löwin erkennt das zarte Herz im scharfzahnigen
Brüller und wickelt ihn prompt um die Pfote! Ergeben übt der Löwe schreiben. Eine
wunderbar subtile Geschichte!
Martin Baltscheit: Die Geschichte vom
Löwen, der nicht schreiben konnte.
Bajazzo Verlag, Zürich 2002, 32 Seiten, 13 Euro (ab 3)
Charmanter Tolpatsch
Magoosy, der Kater, hat ein paar merkwürdige Eigenschaften, er strickt
für sein Leben gern und sammelt Stadtpläne. Aber sonst ist er wie alle Katzen immer zu
einer guten Fischmahlzeit aufgelegt. Bei seinem Beutezug zum Fischladen hätte er sich
besser nach seiner Nase und nicht nach dem alten Stadtplan richten sollen, denn er landet
in der Bank.
Und nun wird es brenzlig, denn die Bank ist gut bewacht. Im Nu ist Magoosy
von Polizisten umringt. Wie befolgt man den Befehl "Hände hoch!", wenn man ein
Kater ist? Doch die Gesetzeshüter haben ein Einsehen mit dem zerknirschten Tier
und an den Fisch kommt Magoosy dann auch noch heran. Dieser kleine Pechvogel hat großen
Charme und Witz.
Thomas Müller (Ill.)/Christine Morton:
Magoosy.
Verlag Beltz und Gelberg, Weinheim 2002, 32 Seiten, 12,90 Euro (ab 4)
©imke habegger 2002
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