Salam Pax und die Blogger

Sie wollen alles wissen. Amerikanische „Blogger" tragen auf Internetseiten Nachrichten zum Irakkrieg aus aller Welt zusammen und schreiben eine Art persönliches Tagebuch

Salam Pax postet nicht mehr. Am 24. März berichtete der Blogger, der angeblich in Bagdad lebt, dass sein Internetzugang zwei Tage lang nicht funktioniert habe, und schob zwei Tagebucheinträge hinterher. Seither Schweigen bei dear_raed.blogspot.com. Salam Pax ist ein Pseudonym (Frieden auf Arabisch und Lateinisch), und Blogger sind Leute, die öffentlich im Internet eine Art Tagebuch führen. Der Begriff leitet sich von Weblog ab, was soviel wie Netzlogbuch bedeutet. In den Vereinigten Staaten ist die Zahl der Blogger seit dem Attentat vom 11. September 2001 sprunghaft angestiegen. Dabei hat auch Software geholfen, die kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden kann und das Veröffentlichen und Aktualisieren von Daten kolossal vereinfacht.

Allen Freunden geistreicher öffentlicher Statements gibt zurzeit der Irakkrieg neue Nahrung, zumindest in Amerika. Viele Blogger analysieren und kommentieren das Ereignis, die meisten geben sich klar als Kriegsgegner zu erkennen. Der ungekrönte König der Warblogger ist Salam Pax. Niemand weiß, wer sich hinter dem Decknamen verbirgt, noch, ob der angeblich 28-jährige irakische Architekt tatsächlich authentische Berichte mitten aus Bagdad postet, also ins Netz stellt. Theoretisch kann jeder eine Webseite aufmachen und alles Mögliche behaupten. Die Internetgemeinde rätselt noch. Eine Bloggerin versichert, Salam habe ihr in einer E-Mail seinen Nachnamen verraten – ansonsten halten Zweifler und Gläubige sich in etwa die Waage. Beweise für seine Existenz gibt es bisher nicht.

Wohl aber seitenlange Berichte, die durchaus Authentizität suggerieren. Beispielsweise stellte Salam selbst fotografierte Fernsehbilder ins Netz, als andere Medien schon die Zerstörung des TV-Zentrums gemeldet hatten. Oft korrigiert er, was er selber im Fernsehen sieht: "Vor einer halben Stunde wurden die Ölgräben in Brand gesteckt. In Al Dschasira sagen sie, dort seien bei der letzten Attacke Bomben eingeschlagen, aber meine Cousine meinte, sie hätte Polizisten beim Legen der Brände gesehen." Er berichtet von geschlossenen Läden, dass auf dem Markt für Obst und Gemüse horrende Preise verlangt würden, und dass die Bäcker zum Brotbacken gezwungen worden seien. Oder er erzählt, ihm sei tief ans Herz gegangen, als er Bilder von irakischen Soldaten sah, die sich mit weißer Fahne ergaben.

Dieser einsame Blogger aus Irak mag eine Fälschung sein oder echt – sicher ist, dass Berichte wie die von Salam Pax die Faszination des Blogging ausmachen. Informationen voller Gefühl. Blogs sind immer persönlich, aus ihnen spricht das Temperament ihrer Schreiber. Das veranlasst offensichtlich viele Amerikaner, Bloggern eher Glauben zu schenken als den sachlich aufbereiteten Nachrichten in den herkömmlichen Medien. Wegen der schnellen Aktualisierung der Blogseiten können Meinungsäußerungen rasch kommentiert oder diskutiert werden, das steigert die Spannung. Außerdem ist grundsätzlich nichts verboten. Diese Art von Webauftritt erinnert an die legendäre Speaker’s Corner im Londoner Hyde Park. Einziger Unterschied: Der Redner im Park sieht, wenn ihm niemand zuhört. Blogger können, selbst wenn niemand ihre Statements kommentiert, davon ausgehen, dass trotzdem viele Menschen sie gelesen haben.

Das Blogging hat sich vor allem in den Vereinigten Staaten zu einer regelrechten Internetkultur entwickelt. Im Netz sind inzwischen auch viele deutschsprachige Blogs zu finden, allerdings wenige zum Krieg, und auf vielen wird mehr geblödelt und geflegelt als ernsthaft diskutiert. Im demokratischen Austausch und in punkto Selbstbewusstsein scheinen die Amerikaner den Deutschen einiges voraus zu haben, denn es existieren unzählige englischsprachige Blogs mit ausgesprochen klugen und fundierten Kommentaren.

Warblogs:cc ist so ein Forum, in dem sich Nachrichten mit Kommunikation verbinden. Menschen, die viel lesen, die unablässig durchs Internet streifen und alles einsammeln, was sie für wichtig halten, tauschen sich hier über den Irakkrieg aus. Warblogs:cc wurde initiiert von dem EDV-Spezialisten Mike Hudack, einem Technologieberater aus New York, der sich George Paine nennt, dem Finanzberater Sean-Paul Kelly und dem früheren AP-Reporter Christopher Allbritton. Alle betreiben zudem jeweils eigene Weblog-Seiten, die alle den Krieg zum Thema haben und sich gegenseitig verlinken.

Dort finden sich als Links unzählige Dokumente zum Krieg. Kommentare, Leitartikel, Analysen aus Zeitungen und Radio oder Fernsehen – eine ziemlich umfassende Aussicht auf die Medienlandschaft, sogar die Frankfurter Allgemeine wird gelegentlich zitiert. Die meisten Artikel werden persönlich kommentiert und auch durchaus kontrovers diskutiert. Auffällig ist, dass viele Amerikaner, die sich dort politisch korrekt austauschen, eines zu verbinden scheint: Ein tief empfundenes Misstrauen gegen die etablierten Medien und die Journalisten, die mit den Truppen marschieren. Die wenigsten glauben, dass das, was sie berichten, der Wahrheit nahe kommt. "Warblogging ist gelebte Skepsis", urteilte der "Spiegel". Und gelebte Meinungsfreiheit.

Die Suche nach Wahrheit scheint die vielen Schreiber, die unermüdlich Stellungnahmen und Berichte ins Netz stellen, anzutreiben. Das geht so weit, dass die Warblogger jetzt ihren eigenen Mann an die Front geschickt haben. Ex-AP-Mitarbeiter Allbritton hat im Internet um Spenden gebeten, damit er exklusiv aus Bagdad eigens für die Blogger berichten kann. Der erste "Internetkorrespondent" ist bereits in Irak angekommen – mit sage und schreibe 10.000 Dollar Spendengeld in der Tasche. Wenn er es bis Bagdad schafft, will er Salam Pax interviewen und damit beweisen, dass es ihn wirklich gibt.

Nicht alle Blogger sind übrigens gegen den Krieg, auch Befürworter haben ein Forum gefunden. Sie sind in der Minderzahl. Zum Beispiel berichtet L.T. Smash, nach eigenen Angaben ein Reserveoffizier der US-Armee, "live from the sandbox". Das hat er auch schon im Afghanistankrieg getan, aber die Qualität seiner Mitteilungen beschränkt sich im Wesentlichen auf Soldatenhumor in Cowboymanier. Sein Herz schlägt für die Truppe.

Den amerikanischen Medien sind Salam Pax und die Warblogger landauf, landab Aufmacher wert. Auch in Australien, Südafrika und Indien berichten Zeitungen über den unbekannten Iraker. Salam Pax erregt weltweit Aufsehen, was, wenn es ihn wirklich gibt, sein Leben nicht gerade sicherer macht. Immerhin: Tausende US-Blogger beten für ihn – und dafür, dass Allbritton ihn aufspürt. 


Was sind Weblogs?

Im Internet gibt es inzwischen eine ganze Fülle von Weblogs oder Blogs, wie sie verkürzt genannt werden. Prinzipiell sind solche Blogs persönliche Aufzeichnungen. Die einfachste Variante: Jemand, der sich dazu berufen fühlt, schreibt Tagebuch, also jeden Tag einen Eintrag und stellt diese Ergüsse ins Web. Der aktuelle Eintrag steht dabei immer oben.

In der einfachsten Form gibt es für Surfer, die dazu Kommentare abgeben wollen, nur die Möglichkeit, sich per E-Mail an den Autor zu wenden. An ihm liegt es dann, ob er diese Kommentare veröffentlicht. Interaktiver sind Blogs, die direkt auf der Webseite über einen Link oder ein Formular die Möglichkeit bieten, Beiträge zu kommentieren und diesen Kommentar direkt zu veröffentlichen. Foren oder auch die Gästebücher auf Homepages funktionieren nach diesem Prinzip.

Weit verbreitet sind Blogs, die sich einem speziellen Thema widmen, zum Beispiel Tipps und Tricks für Betriebssysteme anbieten oder für bestimmte Anwenderprogramme. In diesen Blogs finden sich außer den persönlichen Statements auch Links zu Artikeln oder Erläuterungen auf anderen Homepages im Internet. Dieses Verlinken ist aus dem Brauch entstanden, Freunden und Bekannten E-Mails zu schicken, um sie auf etwas Interessantes im Internet aufmerksam zu machen. Das können fachbezogene Webseiten sein oder vielleicht auch gut gemachte Witzseiten, je nach Geschmack des Absenders. Wer solche Mails heute auf einer Blogseite veröffentlicht, macht seine Empfehlungen oder Kritik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Speziell für Blogs entwickelte Software, die teilweise kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden kann (www.blogger.com), macht Gestaltung und Verwaltung eines Blogs sehr einfach. Bei umfangreichen Blogs werden oft Suchfunktionen angeboten, die es erlauben, innerhalb einer Seite nach bestimmten Themen oder Stichworten zu suchen.

Im Unterschied zu einer persönlichen Homepage, deren Layout sich im Prinzip nicht verändert, bieten Blogs täglich und oft sogar stündlich etwas Neues. Die Qualität eines Blogs hängt ganz massiv mit der Person des Betreibers zusammen. Je nach Interessenslage finden sich banale Betrachtungen, die eher langweilen, Sarkasmen und Sprüche, die witzig sind, und auch hoch interessanter und kluger Austausch kompetenter Schreiber über ein Fachgebiet. Die meisten „Blogger" stellen sich und ihr Anliegen vor, so dass jeder Surfer ungefähr weiß, worauf er sich einlässt, wenn er den Blog aufruft.

Blogs bieten jedem die Chance, geschriebene Texte zu veröffentlichen und andere Texte zu kommentieren. Kein Verlag, keine Redaktion hindert sie daran. In den USA wächst auch die Zahl der Journalisten, die bloggen, teilweise auf eigene Faust, teils in Projekten der Redaktionen. In unzähligen Blogs wird kontrovers speziell über TV- und Printmedien diskutiert. Allerdings: Wer sich auf solchen Seiten informiert, hat keinen Anhaltspunkt, wie objektiv und sachlich richtig einzelne Beiträge sind. Man muss selbst entscheiden, ob man solchen Blogs Vertrauen schenkt oder nicht.

©imke habegger/general-anzeiger bonn 2003 

 

Links (alle Englisch):

http://www.
warblogs.cc

http://www.
warblogging.com

Salam Pax postet wieder!
http://www.
dear_raed.blogspot.com
oder
http://dearraed.
blogspot.com

http://www.
back-to-iraq.com

http://www.
alternet.org/waroniraq

http://www.
agonist.org

http://www.
lt-smash.us/