"Abios Amigos" und der ultimative Gag

Ein Projektteam des Amts für rheinische Landeskunde untersucht, was Abiturienten für ihre Abschlussfeier auf die Beine stellen, und entdeckt Managerqualitäten, Finanzgenies und den Spaßfaktor

Misthaufenduft vor dem Schuleingang kräuselt die Nasen von Mitschülern und Lehrern - und die Abiturienten touren im Polonaisestil durch die Klassenzimmer? Wer heute sein Abitur feiern will, kommt mit solchen archaischen Aktionen nicht weit. Der Abi-Gag muss ein "Event" sein und wird in aller Regel minutiös durchgeplant. Abiturienten im Rheinland legen Wert darauf, ihre Schule mit Aufmerksamkeit erheischendem Getöse zu verlassen. Die außerschulische Öffentlichkeit darf es ruhig mitbekommen, wenn ein Abschlussjahrgang das Thema Schule ein für alle Mal abhakt. Die Mega-Beach-Party auf der Rigalschen Wiese in Bad Godesberg zum Beispiel, mit der sich 2001 die Bonner Abiturienten "ins Leben" verabschiedeten, war nicht so leicht zu übersehen.
Abi-Gags haben sich innerhalb von gut zehn Jahren zu einem regelrechten Kult entwickelt. Das fiel den Alltagsforschern im Amt für rheinische Landeskunde (ARL) des Landschaftsverbandes Rheinland auf. Interessiert an allen Facetten der alltäglichen Jugendkultur gründete das ARL in Bonn ein Projektteam, das zwei Jahre lang ausschließlich Abitur "feierte". Das klingt spaßig, doch die Forscher hatten gut zu tun, denn Abi-Gags sind kein Nischenphänomen. Nahezu alle 470 rheinischen Gymnasien und Gesamtschulen lassen sich Jahr für Jahr etwas möglichst Originelles einfallen, um Spaß zu haben, wenn das äußerste Ende der Schullaufbahn erreicht ist. Was dann geschieht, mit welcher Motivation und welchem Aufwand, hat das "Abi-Action"-Team empirisch untersucht. Und beim Blick hinter die Kulissen ein paar überraschende Fakten entdeckt.

Oberstufe spendet Blut

Der eingangs erwähnte Misthaufen ist völlig passé. Abi-Gags sind heute durchgestylte Bühnenshows mit Rahmenprogramm und prächtigen Kulissen. Sie lehnen sich oft an Medienvorbilder wie Quiz-, Gerichts- oder "Superstar"-Shows an. Zum Einsatz kommen moderne Licht- und Soundanlagen und kreative Eigenleistungen der Abiturienten: Abi-Shirts mit selbst entworfenen Logos, Abi-Zeitungen - heute auch gerne auf CD-ROM - und Abi-Denkmäler. Geld spielt (k)eine Rolle: Bis zu 7000 Euro lassen die Abschlussklassen sich ihren spektakulären Abgang kosten. In den 13. Klassen sitzen offenbar viele Finanzstrategen, die wissen, wie sie an Geld kommen. Solche Genies verdonnern eine ganze Oberstufe zum Blutspenden oder machen beim Börsenspiel der Sparkassen mit Aktien Kasse. Aber auch Vorfinanzierungspartys oder Kuchenverkauf beim Schultheater steigern die Habenseite des Abi-Gag-Kontos. Die Finanzierungsstrategie bildet einen wichtigen Teil der Gesamtorganisation.
Planungskomitees mit Managerqualitäten strukturieren die Events fast professionell, denn ihr erklärtes Ziel ist, den ultimativen Gag zu finden, der alles andere in den Schatten stellt. Das gelingt nicht immer. Vor allem die jüngeren Mitschüler erweisen sich oft als harte Kritiker und machen keinen Hehl daraus, dass sie einen Abi-Gag meistens blöd und höchstens dann cool finden, wenn dabei möglichst viel Unterricht ausfällt.
Bemerkenswert finden die ARL-Forscher die Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der Schulabgänger. Anders als früher gilt es keineswegs als schick, hinter dem Rücken des Kollegiums und der Schulleitung zu operieren. Alles wird abgesprochen. Auch bestimmte Regeln, an die die Feiernden sich wie versprochen halten: Alkoholverbot zum Beispiel. Von Rebellion gegen die Erwachsenenwelt kann keine Rede sein. Viele Pädagogen, die die Alltagsforscher natürlich auch befragten, beschreiben das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern als offener und vertrauensvoller als noch vor zehn Jahren.

Kein Hänneschen

Lehrer lassen sich schlecht über einen Kamm scheren, folglich stößt der Abi-Gag nicht bei allen auf gleich positive Resonanz. Ein Lateinlehrer bringt, wie das ARL-Team berichtet, seine Abneigung präzise auf den Punkt: "Ich bin 13 Jahre lang kein Hänneschen gewesen und bin es auch am letzten Tag nicht." Andere kehren ihren Schäfchen nicht so rigoros den Rücken und lassen sich geduldig Sahnetorten ins Gesicht werfen. Der Abi-Jahrgang 2002 vom Theodor-Heuss-Gymnasium in Dinslaken hatte ein paar Pädagogen für das fettige Vergnügen gewinnen können, weil die Tortenschlacht einem guten Zweck gewidmet war. Beliebt bei den Schülern sind Quiz- und Karaokeshows mit Lehrern. Letztere sehen oft herrlich albern aus - und beim Wissensspiel brechen Schüler gern in kosmischen Jubel aus, wenn ein Lehrer (endlich) mal nichts weiß.
Jeder Abi-Gag braucht ein Motto, und auch da wächst hinter den Schulmauern spritzige Qualität. "Abiagra - das Abi steht" hieß 2002 in Dinslaken das Motto, was auch nicht jeden Lehrer begeistert haben dürfte. "Abikadabra", "AB In die Sonne", "A.B.I. - A Bunch of Idiots" oder "Abilantis - wir saufen ab" sind weitere Beispiele aus dem beachtlichen Kreativitätsspektrum der Schüler. Motti wie "Abios Amigos", "Abizza", "Bacabi-Feeling", "Carabik" oder "Abi la vista" zeugen vom Faible für exotisch-bunte Welten: Karibik und Beachparty sind seit Jahren Top-Favoriten.

Plattform im Internet

Abiturienten möchten an ihrem Feiertag gern die Machtverhältnisse umdrehen. Schüler sollen das Sagen haben, Lehrer nicht. Aber für Rachegelüste ist kein Platz, wie das ARL-Team herausfand. Tradition, Spaßfaktor und der Wettstreit um den heißesten Gag stehen im Vordergrund. Manche Klassen sprechen sogar von Dank: "Wir wollen der Schule etwas zurückgeben" oder "Wir wollen uns bei unseren Lehrern bedanken" nennen Schüler als Motiv für den Abi-Gag.
Ihr Projekt "Abi-Action" führen die Landeskundler mittlerweile im Internet weiter. Die Webseite www.abi-action.de, gesponsert vom Rheinischen Sparkassen- und Giroverband, bietet sich als Service- und Informationsportal an. Abiturienten können ihre Gags als Bild/Text-Dokumentation über ein interaktives Mitmachformular kostenlos ins Web stellen. Damit ist allen gedient: Das ARL erhofft sich rege Teilnahme, damit die Daten zum Thema Abi-Gag fortgeschrieben werden können. Die Schulen wiederum finden eine Plattform, um ihre Veranstaltungen publik zu machen und sich anzuschauen, was die Konkurrenz zu bieten hat.

©imke habegger / general-anzeiger bonn

Geschafft: Abi 2001

Beachparty in Bonn
Foto: Gabriele Dafft (LVR/ARL)

 

Link: http://www.abi-action.de

Ansprechpartner beim Amt für rheinische Landeskunde:
Gabriele Dafft
Tel.: 0228-9834-208
E-Mail: g.dafft@lvr.de

Schüler spritzen Lehrer nass

Water-Pumpguns in Düsseldorf
Foto: Tanja Bark (LVR/ARL)

 

 

 

 

 

Styling für den Abi-Gag

Cool in Dinslaken
Foto: Tanja Bark (LVR/ARL)

 

 

 

 

 

 

 

Dinslaken: Abiagra - das Abi steht!

Sahnetorten für Lehrergesichter
Foto: Thekla Meusel (LVR/ARL)