Im Schatten

Ohne die Sherpas wäre den Briten der Gipfelsieg versagt geblieben

Hinauf zu Chomolungma? Nie im Leben wäre es einem Sherpa eingefallen, auf den Berg zu steigen, den er für den Thron der Götter hält. Die Ankunft der ersten britischen Himalaja-Expeditionen erfüllt sie mit Staunen. „Was wollen die Leute da oben?“ fragten sie. „Da gibt es doch nichts als Schnee.“ Von den britischen Everest-Ambitionen hatten sie nie zuvor gehört. 

Sherpa ist keine Bezeichnung für Lastenträger in Hochgebirgsregionen, wie häufig angenommen wird. Der Name bedeutet „Volk aus dem Osten“. Die Nomaden, überwiegend Viehhirten, wanderten vor rund 500 Jahren aus Tibet in die Region um den Everest ein. Sie wurden sesshaft, als im 19. Jahrhundert die Kartoffel eingeführt wurde. Sie bauten Siedlungen und Klöster, ihre Religion ist im hinduistisch geprägten Nepal der Buddhismus geblieben. Noch in den 50er Jahren gab es außerhalb der nepalesischen Hauptstadt Katmandu keine Straßen. Alle Güter und Lasten mussten von Menschen und Yaks getragen werden. Die Erfahrung der Sherpas mit großen Höhen, ihre Kraft und ihre Ausdauer beeindruckte die Briten, die schon in den 20er Jahren begannen, die zähen Männer anzulernen. 

Sherpas besitzen etwa die doppelte Menge roter Blutkörperchen als Flachländer. Das macht sie besonders fit in großen Höhen, aber es bewahrt sie nicht vor der so genannten Höhenkrankheit. Trotzdem sind sie immer unentbehrliche Helfer aller Gipfelstürmer, der „Sahibs“, gewesen, selbst „Alleingänger“ haben im Vorfeld ihre Trägerdienste in Anspruch genommen. Es gilt als erwiesen, dass ohne Sherpas keine westliche Expedition jemals zum Gipfel des Everest gelangt wäre. 
Sherpas tragen nicht nur die Ausrüstung von Lager zu Lager, sie verankern Aluminiumleitern im Khumbu-Eisbruch, sie sichern ausgesetzte Stellen mit Fixseilen, sie bauen Zelte auf, sie bereiten Mahlzeiten zu. Im Notfall ziehen sie sogar Touristen am Seil auf den Berg. Und sie retten Menschenleben.

Die Briten pflegten ein sehr distanziertes Verhältnis zu den Einwohnern der Everestregionen. Die Schweizer waren 1952 die ersten, die den späteren Erstbesteiger Tensing Norgay als vollwertiges Mitglied in ihre Expedition aufnahmen. Früher wurden nicht einmal die Namen der Sherpas genannt, die am Gipfel eingesetzt waren, geschweige denn die Namen derer, die umkamen. Unter den 175 Toten bisher waren fast ein Drittel Sherpas.

Wer sich verletzte oder starb, war schlecht abgesichert. Jamling Norgay, der Sohn des 1986 gestorbenen Tensing, berichtet: „Anfang der 50er Jahre erhielt die Familie eines tödlich verunglückten Sherpas eine Entschädigung von 20 Dollar. Wenn er Frau und Kinder hatte, waren es 50 Dollar. Für den Verlust einer Hand wurden 15 Dollar bezahlt, für verlorene Finger entsprechend weniger.“ Bescheidenen Wohlstand erreichten später nur Gipfelsieger wie Apa Sherpa, Nawang Gombu oder Babu Shiri Sherpa und die Klettersherpas. Die einfachen Träger werden auch heute noch so bezahlt, dass „schlecht“ maßlos untertrieben wäre.

Der Khumbu-Eisbruch ist die gefährlichste Zone am Everest. Tonnenschwere Eistürme können jederzeit umstürzen. Die Sherpas veranstalten vor jeder Besteigung eine Puja-Zeremonie, um die Götter gnädig zu stimmen. Apa Sherpa ist der einzige Mensch, der schon 12 Mal auf dem Everest stand. Er hat sich auch um die vielen Müllexpeditionen verdient gemacht. Denn zuweilen erstickte der Everest an den Hinterlassenschaften westlicher Alpinisten. 2002 transportierte allein der Japaner Ken Noguchi rund 1500 Kilogramm Müll ins Tal, außer leeren Sauerstoffflaschen auch Zelte und Konservendosen. Noguchi kümmerte sich auch um einige der 120 Leichen am Berg. Sie können zwar nicht ins Tal gebracht werden, aber er versuchte, sie in Gletscherspalten zu stoßen, damit sie dort ihre letzte Ruhe finden.
 

©imke habegger/general-anzeiger bonn 2003 

Sherpas

Beschwerlicher Aufstieg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie auf dem Mond: Sherpa am Gipfel