Leiden, Katastrophen, Erfolge

Chronik von 1661 bis 2002

n 1661/62 Zwei Missionare, die Jesuiten Johannes Grüber und Albert d´Orville, sind im Himalaja unterwegs – und sehen vermutlich als erste Europäer den Mount Everest. 

n 1717/18 Das Everest-Massiv taucht unter dem Namen „Jumu Lungma Alin“ erstmals auf einer Landkarte auf, die Jesuiten auf Grundlage einer chinesischen Landvermessung anfertigen. „Chomolungma“ (Göttinmutter der Erde) nennen die Sherpas ihren heiligen Berg. 

n 1847 bis 1850 Die Briten verschaffen sich bei der „Großen Trigonometrischen Landvermessung“ ein genaues Bild ihrer Kolonie Indien. Von verschiedenen Messpunkten am Fuße des Himalaya nehmen Geodäten die Bergriesen ins Visier. Mehrere Berechnungen ergeben: „Gipfel 15“ ist mit 8839 Metern der höchste der Welt. Der Leiter des Vermessungsprojekts, Andrew Waugh, schlägt der Royal Geographic Society in London vor, „Gipfel 15“ nach Sir George Everest zu benennen, seinem Vorgänger im Amt. Everest ist gar nicht begeistert. Er meint, Berge sollten ihre einheimischen Namen behalten. Das sieht die Royal Geographic Society anders und benennt den Berg der Berge Mount Everest.

n 1885 Die britische Everest-Obsession beginnt: Clinton Dent, Arzt und Bergsteiger, erörtert in einem Buch die Möglichkeit einer Besteigung. „Ich möchte absolut nicht behaupten, dass es sinnvoll sei, den Mount Everest zu besteigen, doch bin ich der Überzeugung, dass eine Besteigung im Bereich des Menschenmöglichen liegt . . .“

n 1907 Der britische Alpine Club plant eine Everest-Expedition zu seinem 50-jährigen Bestehen. Politische Spannungen verhindern das Projekt. 

n 1913 Der Abenteurer und Offizier John Noell reist illegal in das für Ausländer gesperrte Tibet. Er nähert sich dem Everest bis auf 60 Kilometer. Nach einer Schießerei mit tibetischen Soldaten gibt er auf.

n 1921 Die Briten gründen ein „Everest-Committee“ und starten eine erste Expedition. Ziel: Einen Zugang zum höchsten Berg zu finden und eine mögliche Route zum Gipfel. Mitglied der von Beginn an mit großen Schwierigkeiten kämpfenden Expedition ist ein 35-jähriger Lehrer: George Leigh Mallory. Er gehört zu jener Gruppe, die sich bis zum Everest-Nordsattel (7066 Meter) hochkämpft. Schon auf dem strapaziösen Anmarsch stirbt der Expeditionsarzt Alexander M. Kellas – erstes Opfer des Everest. Mallory schreibt an seine Frau: „Wir haben den Weg zum Gipfel für jeden geebnet, der das höchste Abenteuer gerne versuchen möchte.“

n 1922 Die Briten starten ihre zweite Expedition. Mit dabei wieder Mallory. Der Australier George Finch, ein erfahrener Alpinist, hat revolutionäre technische Neuerungen mitgebracht: Einen von ihm selbst entworfenen Daunenparka und Sauerstoffgeräte. Eine aus Mallory, Edward Norton und Howard Somervell bestehende Seilschaft erreicht ohne zusätzlichen Sauerstoff 8120 Meter Höhe. Sie sind die ersten Menschen, die die magische 8000er-Grenze überschreiten. Zwei Tage später schultert eine kleine Seilschaft mit Finch an der Spitze die neuen Sauerstoffgeräte zum Gipfelsturm. Sturm und Erschöpfung zwingen Finch und seinen Begleiter Geoffrey Bruce bei 8380 Meter zur Umkehr. Finch: „Wir litten wirkliche Tantalusqualen. Ich fühlte, dass wir nicht mehr lebendig herunterkommen würden, wenn wir auch nur 100 Meter weitersteigen.“ Die Expedition endet tragisch: Eine Lawine tötet sieben Lastenträger. 

n 1924 Die Briten geben nicht auf. Eine dritte Expedition startet. Wieder mit Mallory. Der Offizier Edward Norton steigt ohne Sauerstoff bis auf 8572 Meter – höher sollte bis 1952 keiner mehr kommen. Mallory und sein Seilpartner Andrew Irvine, ein 22-jähriger Student aus Oxford, verschwinden bei ihrem Gipfelversuch.

n 1933 Wieder scheitern die Briten am Everest. Frank Smythe, einer der besten Bergsteiger seines Landes, versucht ohne Sauerstoff einen Alleingang. Bei 8570 Meter muss er aufgeben. Beim Abstieg leidet er an Halluzinationen, Folge des Sauerstoffmangels. Smythe hat das Gefühl, ein unsichtbarer Begleiter folge ihm, er will sogar seinen Proviant mit ihm teilen. Außerdem sieht er „merkwürdige Objekte am Himmel schweben“.

n 1934 Maurice Wilson, ein 35-jähriger Engländer ohne Bergerfahrung, fühlt sich von Gott berufen, den Everest zu besteigen. Sein verwegener Plan: Mit dem Flugzeug unterhalb des Gipfels eine Bruchlandung versuchen und den Rest des Weges zu Fuß aufzusteigen. Er bekommt jedoch keine Überflugerlaubnis für Nepal oder Tibet, schlägt sich schließlich zu Fuß zum Everest durch. Mehrere Gipfelversuche scheitern schon im Ansatz. Wilsons letzter Tagebucheintrag vom 31. Mai: „Aufwärts! Großartiger Tag!“ Seine Leiche wird 1935 gefunden und in einer Gletscherspalte begraben. Tauwetter, wie es während des Monsuns kurzzeitig bis 8000 Meter herrschen kann, legt bis heute regelmäßig die sterblichen Überreste des „ewigen Pilgers vom Everest“ frei.

n 1935 bis 1938 Drei weitere britische Expeditionen scheitern am so genannten dritten Pol der Erde.

n 1950 China besetzt Tibet – und sperrt die Everest-Nordseite, bis dahin der Zugang für Gipfelversuche von ausländischen Expeditionen.

n 1951 Die Briten sind erneut am Everest. Die Expedition soll eine neue Aufstiegsroute erkunden. Unter den Teilnehmern ist auch ein großgewachsener, junger Neuseeländer: Edmund Hillary. Als Schüsselstelle gilt der bis dahin für unüberwindbar gehaltene und Furcht einflößende Eisfall des Khumbu-Gletschers – „ein wildes Labyrinth von Eiswänden, Abgründen und Türmen“ (Expeditionsleiter Eric Shipton), zudem ständig in Bewegung. Tatsächlich finden die Männer einen Weg in das Westkar, die von Everest, Lhotse und Nuptse gebildete „Arena der Stille“. Eine gewaltige Gletscherspalte stoppt sie.

n 1952 Eine Schweizer Expedition nimmt die neue Südroute zum Everest. Eine Seilschaft, bestehend aus dem Bergsteiger Raymond Lambert und einem Sherpa namens Tensing Norgay („der Glückliche“), der zuvor schon mit drei britischen Expeditionen am Everest war, schafft es bis auf 8595 – niemand ist dem Gipfel bis dahin näher gekommen. Sturm und Erschöpfung zwingen sie zum Rückzug. „Wir hatten für 200 Meter fünf Stunden gebraucht“, berichtet Lambert. 

n 1953 Edmund Hillary und Tensing Norgay, Mitglieder einer britischen Expedition, stehen als erste Menschen auf dem Gipfel der Welt. Hillarys erster Kommentar nach der Rückkehr im Lager auf dem Südsattel: „Wir haben den Bastard erledigt.“

n 1956 Jetzt schaffen es auch die Schweizer: Jürg Marmet und Ernst Schmied gelingt die Zweitbesteigung des Everest. Am benachbarten Lhotse (8501 Meter) sind die Schweizer hingegen die Ersten.

n 1960 Einer riesigen chinesischen Expedition – 214 Frauen und Männer – gelingt die erste Besteigung über die britische Vorkriegsroute vom Norden aus. Der Erfolg des dreiköpfigen Gipfelteams wird im Westen lange angezweifelt, weil es kein Beweisfoto gibt und viele Details unklar bleiben. Zudem ist der Bericht stark ideologisch. Den Sonnenaufgang nach dem Gipfelsturm mitten in der Nacht beschreiben Wang Fu-Chou und Chu Yin-Hua als „das strahlende Licht unseres Landes, der Partei und des Vorsitzenden Mao Tse-tung. Sie hatten uns grenzenlose Kraft und Weisheit gegeben.“ 
n 1963 Die Gipfelrouten über Süd- und Nordgrat sind erschlossen. Die Amerikaner Tom Hornbein und Willi Unsoeld nehmen sich den Westgrat vor. Beide erreichen den Gipfel und steigen über den Südostgrad wieder ab – die erste Überschreitung des Everest. Unsoeld erfrieren in einem Biwak auf 8500 Metern neun Zehen. Sie müssen amputiert werden.

n 1971 Eine internationale Expedition scheitert an nationalen Egoismen und persönlichen Rivalitäten. Eine dramatische Aktion zur Rettung des Inders Harsh Bahuguna, der völlig erschöpft an einem Quergangsseil hängen bleibt, misslingt im Schneesturm. „Sorry Harsh, Pech gehabt“, sind die letzten Worte, die der Brite Don Whillans dem sterbend im Seil hängenden Inder zuflüstert.

n 1974 Eine Lawine reißt an der Westschulter zwei Lager einer französischen Expedition mit sich. Der Leiter Gérard Devouassoux und fünf Sherpas sterben.

n 1975 Die 35 Jahre alte Japanerin Junko Tabei, zwölf Tage zuvor noch beinahe von einer Lawine verschüttet, steht als erste Frau auf dem Gipfel und als 39. Mensch überhaupt. Nur elf Tage später macht es ihr die Tibeterin Phantog nach. 

n 1978 Eine neue Pionierleistung am Everest: Völlig ohne die Hilfe von zusätzlichem Sauerstoff und mit minimaler Ausrüstung erreichen der Südtiroler Reinhold Messner und der Österreicher Peter Habeler den Gipfel. „Wer zur Sauerstoff-Flasche greift, degradiert den Everest zu einem Sechstausender“, sagt Messner. Und: „Berge sind so elementar, dass Menschen nicht das Recht haben, sie mit technischen Hilfsmitteln zu unterwerfen.“ Der Everest-Experte Jochen Hemmleb nennt die Leistung der Beiden „die erste wirkliche Besteigung“ des höchsten Gipfels des Planeten. Mit der selben Expedition, der sich Messner/Habeler angeschlossen hatten, erreicht der erste Deutsche den Gipfel: Reinhard Karl.

n 1979 Helga Schmatz ist die erste deutsche Bergsteigerin auf dem Gipfel – und die erste Frau, die dem Berg zum Opfer fällt. Nach dem Gipfelerfolg muss ihre Seilschaft auf 8500 Meter Höhe biwakieren. Ihr Begleiter, der Amerikaner Ray Genet überlebt die Nacht nicht, Schmatz schafft noch den Abstieg auf 8300 Meter, bevor sie an Erschöpfung stirbt. Noch jahrelang sehen spätere Bergsteiger ihre festgefrorene Leiche.

n 1980 Wieder ist Reinhold Messner am Everest – diesmal mit seiner Freundin Nena Holguin an der Nordseite. Sie begleitet ihn bis zum vorgeschobenen Basislager, dann macht er sich mit aufs Nötigste reduzierter Ausrüstung auf zur ersten Solo-Besteigung ohne Sauerstoff. Selbst der mit außergewöhnlichen körperlichen Fähigkeiten und sturer Willenskraft ausgestattete Messner gelangt an seine Grenzen: „Ich weiß nicht, wie ich den Gipfel geschafft habe. Ich wusste nur, dass ich keinen Schritt hätte weiter gehen können.“ Nena Holguin erwartet ihn nach erfolgreichem Aufstieg im Lager: „Da ist er, der stärkste Mensch, den ich kenne, total am Ende, ausgelaugt bis in die Seele.“

n 1980 Eine polnische Expedition wagt die erste Winterbegehung. Die Truppe trotzt orkanartigen Stürmen, die sie tagelang in ihren Zelten festhalten, und Temperaturen bis 40 Grad minus. Leszek Cichy und Krysztof Wielicki funken am 17. Februar ins Basislager: „Ratet, wo wir sind.“

n 1982 Die erste sowjetische Expedition am Everest. Die Russen erschließen eine neue, technisch anspruchsvolle Route über die Südwestwand. Am Ende erreichen nicht weniger als elf Teilnehmer der Expedition den Gipfel. Im selben Jahr verschwinden Joe Tasker und Peter Boardman, zwei der besten Bergsteiger, beim Versuch, den Gipfel über den technisch schwierigen Nordostgrad zu bezwingen.

n 1985 Der Amerikaner Dick Bass steht auf dem Gipfel. Als erster hat er damit die „Seven Summits“ geschafft, die jeweils höchsten Berge auf den sieben Kontinenten.

n 1986 Die Schweizer Erhard Loretan und Jean Troillet sprinten innerhalb von 40 Stunden auf den Gipfel und wieder hinab. Den Abstieg schaffen sie in nur dreieinhalb Stunden – auf dem Hosenboden rutschend.

n 1988 Mit einem Gleitschirm stürzt sich der Franzose Jean-Marc Boivin vom Gipfel in die Tiefe. Für 2500 Höhenmeter benötigt er elf Minuten.

n 1990 Tim Macartney-Snape, ein aus-tralischer Spitzenbergsteiger, ist der erste, der das Dach der Welt von Meereshöhe aus besteigt. Gemeinsam mit seiner Frau startet er seine Tour am Strand des Indischen Ozeans, wandert über 1000 Kilometer durch Indien und Nepal und steht zwei Monate später auf dem Gipfel. Im selben Jahr besteigt Peter Hillary, Sohn des Erstbesteigers, den Everest.
n 1994 Der höchstgelegene Müllplatz der Welt wird aufgeräumt. Eine amerikanische Expedition schafft zwei Tonnen Müll und 200 verbrauchte Sauerstoff-Flaschen ins Tal.

n 1996 Der Everest zeigt, dass er keine Fehler verzeiht: In einem Schneesturm sterben nach einer verhängnisvollen Verkettung von Fehlern drei Führer von kommerziellen Expeditionen und zwei ihrer Kunden. Zwei weitere Abenteurer, die viel Geld für die Reise zum höchsten Punkt der Welt bezahlt hatten, erleiden schwerste Erfrierungen. Im Weltbestseller „In eisige Höhen“ schildert der Journalist Jon Krakauer, wie es zu der Tragödie kam. In dem selben Sturm sterben auf einer anderen Route außerdem drei Inder. Im selben Jahr erreicht Göran Kropp den Gipfel. Kropp hatte den Weg von seiner Heimat Schweden bis Kathmandu mit dem Fahrrad zurückgelegt – 11500 Kilometer. Der Südtiroler Hans Kammerlander steigt in 17 Stunden auf den Gipfel und fährt mit Skiern ab. Und: Helga Hengge ist die erste Deutsche, die den Everest-Gipfel besteigt und heil zurückkehrt.

n 1998 Der Amerikaner Tom Whittaker, dem nach einem Autounfall der Fuß des linken Beins amputiert wurde, schafft es auf den Gipfel – als erster Behinderter.

n 1999 Eine Suchexpedition findet die Leiche des Everest-Pioniers George Mallory in 8155 Metern Höhe. Das Rätsel, ob Mallory und Irvine den Gipfel nicht doch bereits 1923 bezwungen haben, bleibt trotzdem ungelöst, weil Mallorys Kamera verschwunden bleibt.

n 2000 Sherpa Babu Chiri stellt zwei Rekorde auf. Einmal schafft er den Aufstieg über die Südroute in 16 Stunden und 56 Minuten, zum anderen übernachtet er auf dem Gipfel – ohne zusätzlichen Sauerstoff! Mehr als 21 Stunden verbringt er auf dem Dach der Welt – zum Schlafen kommt er dabei allerdings nicht.

n 2001 Ein Jahr seltsamer Rekorde am Everest. Der 22-jährige Franzose Marco Siffredi fährt mit dem Snowboard vom Gipfel ab. Der Sherpa Temba Chiri, gerade erst 16 Jahre alt, ist der jüngste Gipfelstürmer, Sherman Bull (USA) mit 64 Jahren der älteste. Schließlich erreicht mit dem Amerikaner Erik Weihenmayer der erste Blinde den Everest-Gipfel. Am 23. Mai wird es eng: 89 Bergsteigern gelingt am selben Tag der Gipfelerfolg.

n 2002 Apa Sherpa ist das zwölfte Mal auf dem Gipfel. Ein einsamer Rekord. Ein bestehender wird wieder gebrochen: Der Italiener Mario Cunis aus Bergamo ist mit 65 Jahren der neue Rekordhalter als älteste Person auf dem Mount Everest. 

©general-anzeiger bonn 2003 

Mount Everest

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

NASA-Foto von Everest und Himalaja

Blick aus dem Weltraum auf Mt. Everest und Umgebung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tensing Norgay und Edmund Hillary

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Reinhold Messner